https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14327920.html 25.02.1980
DDR-KABARETT „Frohes Lachen“
Die SED fördert nach Kräften die vielen Kabaretts - wenn die Satire harmlos bleibt.
DDR-Satiriker brauchen oft Mut - und sei es nur als Aufhänger für ihre Scherze. "Mut ist", verkündete etwa das Ost-Berliner Kabarett "Die Distel", "wenn du im
Konsum-Warenhaus statt im Intershop einen Farbfernseher mit allen Systemen verlangst."
Verwegener nahm die Leipziger "Pfeffermühle" das Stichwort auf und ließ auf der Bühne zwei Kabarettisten und einen Werkleiter das Thema "iskutieren "Wozu braucht
man Mut?" 1. Kabarettist: Zum Beispiel, um Erich Honecker in einem Satz mit Kartoffelpuffern zu " erwähnen.
2. Kabarettist: Dazu braucht man doch keinen Mut, dazu braucht man höchstens genießbare Kartoffeln.
Werkleiter: Sie können doch einen führenden Staatsmann nicht im Zusammenhang mit Kartoffelpuffern nennen.
1. Kabarettist: Na, ist doch gar nicht schlecht. Das sollte man sogar mal unserer Presse vorschlagen.
2. Kabarettist: Ja, das ist gut. Ich könnte mir vorstellen, daß die NBI ...
Werkleiter: ... Wer?
2. Kabarettist: ... die NBI (Neue Berliner Illustrierte), die Nichtssagende Bescheidene Illustrierte, endlich mal Funktion und Profil erhält, auf die
Interessen ihrer Leser eingeht und nicht darüber berichtet, daß Horst Sindermann in Prag weilt, sondern wie er dort lebt: Ob er zum Abschiedsempfang Staropramen (tschechisches Bier) ausschenkt
oder eine Kiste Radeberger Pils durch den Zoll geschmuggelt hat ...
1. Kabarettist: ... ob es Prager Schinken gibt ...
2. Kabarettist: ... oder Kartoffelpuffer. Millionen DDR-Bürger essen leidenschaftlich Kartoffelpuffer, und wenn die durch die Presse erfahren, daß Horst
Sindermann auch mal eben nicht nur Kaviar, sondern Kartoffelpuffer zu sich nimmt, dann gibt das ganz persönliche Beziehungen.
Daß so der üppige Lebensstil des Spitzengenossen Sindermann, Präsident der Volkskammer, karikiert wird, ließen die Kulturfunktionäre gerade noch durchgehen. Denn
unmittelbar auf diese Fottise erklärten die Kabarettisten scheinheilig ihr Anliegen: Werkleiter: Ich weiß jetzt, was Sie wollen. Sie wollen, daß der Leiter, der Verantwortung trägt, nicht zum
Funktionär degradiert, sondern als Mensch gesehen wird. Mit all seinen Mängeln und Vorzügen. Mit all seinen Erfolgen und Mißerfolgen.
Mit ihrem nächsten Programm bewies die "Pfeffermühle" jedoch, daß DDR-Satiriker tatsächlich Mut brauchen: Im vergangenen November wurde der Kabarett-Direktor
Horst Günther gefeuert, Dramaturg und Texter Rainer Otto kam mit einem Parteiverfahren davon.
Anlaß für die Absetzung des Programms war eine Szene, in der ein Vorauskommando des Staatssicherheitsdienstes in der Wohnung eines jungen Ehepaares den
"spontanen Besuch" des SED-Generalsekretärs Erich Honecker probt. Über den Stasi und den Parteichef hat sich niemand lustig zu machen.
Denn DDR-Satire, das hatte der gemaßregelte Dramaturg Otto vor Jahren selbst gesagt, besteht nicht darin, "daß Parteiprominenz durch den Kakao gezogen, die
Regierung zur Schnecke gemacht, der Landesvater - Pardon-verscheißert wird".
Es darf gelacht werden, aber nicht über den Sozialismus und die Stützen der Gesellschaft. Otto Stark, Direktor der Ost-Berliner "Distel": "Wir wollen ein frohes
Lachen, das bekanntlich ein Ausdruck der Stärke und Überlegenheit ist."
Im kleinen ist Kritik erlaubt. Wenn bloß Belanglosigkeiten mit heiterem Frohsinn vorgeführt werden, sind selbst Institutionen wie die Nationale Volksarmee für
Scherze freigegeben. So provozieren die Schelme des Kabaretts "Die Kneifzange" ein "frohes Lachen" mit folgender Darbietung:
Eine tschechoslowakische Soldatendelegation besucht die ostdeutschen Verbündeten. Ein Tscheche ist sehr beeindruckt von dem "Interesse für Bücher. In der
Bibliothek hat es gewimmelt von Soldaten. Haben sich gerissen Bücher gegenseitig aus der Hand". Erstaunen im Publikum, bis die Erklärung folgt: "Das war so mit den Büchern - bevor die Delegation
kam, hat der Spieß verkündet: In der Bibliothek, Genossen, haben wir zwanzigtausend Bücher, und in einem davon befindet S.78 sich ein unterschriebener und gesiegelter Urlaubsschein."
Mit solch ätzender Schonungslosigkeit pflegen DDR-Satiriker die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bloßzulegen, Kritik zu üben am "Schönfärben der
nicht immer ganz rosigen Wirklichkeit", wie das Ost-Berliner "Taschenbuch der Künste", Abteilung "Kabarettgeschichte", die Aufgaben sozialistischer Satire sieht.
Kritik ja, aber in netter Form. O-Ton "Distel": "Alles hat bei uns zwei Seiten, eine schöne und eine sehr schöne. Den schönen Seiten begegnen wir täglich im
Nahverkehr, im Konsum, im Betrieb, den sehr schönen in der Presse."
Freilich gehen die Berliner Kabarettisten zuweilen auch despektierlich mit ihrer Obrigkeit um. Daß der SED-Staat der eigenen Bevölkerung viele Waren nur gegen
westdeutsches Geld verkauft, "eralberten sie mit einem Lied, frei nach der "Dreigroschenoper": "Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht." „Meine Oma, die hat keene, Zahngold
gibt's für Ostgeld nicht."
Gleichwohl: Wird ein Ärgernis so fidel vorgetragen, dann reagiert das Publikum mit dem geforderten frohen Lachen. Als Schnurre verpackt, dürfen die DDR-Kabaretts
Unmut der Bürger artikulieren und sich - sofern sie Verantwortliche nicht beim Namen nennen - über Schlamperei in den Betrieben und Wichtigtuerei in Parteibüros mokieren.
Wenn Kabarettisten nur über die anonymen "Schaumschläger des VEB Schlagfix" höhnen, ist ihnen sogar das Wohlwollen der Partei sicher: Da agitieren sie
schließlich gegen Mißstände im Sozialismus, und das erklärt, weshalb die SED die Kabaretts im Lande kräftig fördert.
Zwölf Berufs- und über 600 Laienkabaretts gibt es derzeit in der DDR. Fast jede größere Firma hat ihre Betriebs-Satiriker -- die Geräte- und Reglerwerke Teltow
ihre "Teltower Rüpel", das VEB Kombinat Robotron in Dresden seine "Lachkarte", die Berliner Postdirektion ihre "Klapperschlangen".
Sie alle müssen nicht nur Frohsinn verbreiten, sondern vorwiegend ihren "gesellschaftlichen Auftrag bei der Herausbildung sozialistischer Denk- und
Verhaltensweisen" erfüllen, so der stellvertretende Minister für Kultur, Siegfried Wagner.
Wie alles in der DDR hat auch der organisierte Spaß eine gesellschaftliche Funktion. Der wissenschaftliche Beirat für Volkskunst beim Ministerium für Kultur in
einer ernstgemeinten Leitlinie: "Der Beitrag des Kabaretts besteht hauptsächlich in der satirischen beziehungsweise humoristischen Beleuchtung von subjektiver Nichterfüllung gesellschaftlicher
Erfordernisse, beabsichtigt als produktive Kritik, die Denkanstöße und Handlungsimpulse zur weiteren Vervollkommnung des Menschen gibt."
Versteht sich, daß eine Bürokratie, die so fürsorglich Humor und Satire gedeihen läßt, den Spaß auch ordentlich verwaltet. Wie Maurerbrigaden zum sozialistischen
Wettmörteln lassen sie Kabarettgruppen zum "Zentralen Leistungsvergleich" antreten: Wer geißelt einen Mißstand am ulkigsten?
Nicht die schiere Possenreißerei ist gefragt, sondern die spaßige Beschäftigung mit Unzulänglichkeiten. Und das ist oft gar nicht so spaßig, weil die Partei den
Humor ernst nimmt.
Um die Amateure kümmert sich die Zentrale Arbeitsgemeinschaft (ZAG) Kabarett beim Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig; die ZAG gibt Ratschläge zur
"thematisch-inhaltlichen Ausrichtung", besorgt Räume und Themenvorschläge. Aus dem ZAG-Katalog: "Gestaltung der Arbeiterpersönlichkeit im Kabarett, Kabarett in der sozialistischen Landwirtschaft,
Kabarett in der Klassenauseinandersetzung, Kabarett und Jugend in der sozialistischen Gesellschaft".
Doch statt dessen bringen Amateurgruppen oft nur arglose Narretei, etwa wenn "Die Dornen" aus Halle reimen: "Das Haus hat keinen Erker, die Jungfrau hat kein
Bett, wir haben manchmal Ärger, wir spielen Kabarett."
Drollig sollen die Jung-Satiriker nicht sein; der Partei sind sie ohnehin meist zu milde. So wünscht das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland", "daß einige
Gruppen aktuellen Problemen noch hautnäher zu Leibe rücken sollten".
Bei den Berufskabaretts hingegen fürchtet die Partei eher, daß sie zu sehr den Nerv treffen. Da muß ein nahezu lückenloses Kontrollsystem für parteikonforme
Satire sorgen.
Zunächst prüft der Direktor des Kabaretts die Texte auf ideologische Sauberkeit, zumeist mit Hilfe eines ehrenamtlichen Beraters aus dem Partei- und S.80
Staatsapparat. Für die "Distel" beispielsweise hatte jahrelang der Gesellschaftswissenschaftler Professor Hoyer herauszufinden, ob allzu kritische Beiträge noch die marxistisch-leninistische
Grundordnung vertreten.
Dann legt der Direktor in der Regel die Texte zur Begutachtung der SED-Bezirksleitung vor, und schließlich erscheint ein Parteifunktionär bei der Haupt- oder
Generalprobe zur Abnahme des Programms - schließlich könnte der Regisseur eine Szene so tückisch angelegt haben, daß falsche Lacher aus dem Publikum kommen.
Viele Kabarett-Chefs wie der "Distel"-Direktor Stark haben, um ganz sicher zu gehen, ihren Schauspielern jegliche Improvisation untersagt, spontane Einfälle zu
Tagesereignissen sind verpönt. Dabei findet die Zensur schon im Kopf der Autoren statt: Unbotmäßige Texte werden nicht angenommen. Als der Ost-Berliner "Distel"-Autor Jürgen Klammer einen
Ausreiseantrag stellte und daraufhin aus der SED ausgeschlossen wurde, konnte er hinfort kein Lachwerk mehr verkaufen.
Die im vergangenen Sommer verschärften Strafgesetzte drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren jedem Untertanen an, der "in der Öffentlichkeit die staatliche
Ordnung oder staatliche Organe ... oder deren Tätigkeit ... herabwürdigt", so Paragraph 220 StGB.
Erstes Opfer dieser Strafverschärfung wurde Manfred Bartz, Texter für die "Distel" und die Dresdner "Herkuleskeule". Bartz, der zur Absicherung seines
Lebensunterhalts als Nachtwächter in der Ost-Berliner Stadtbibliothek arbeitete, wurde im November verhaftet. Offizielle Anschuldigung: "Weitergabe nichtöffentlicher Informationen".
Wo nach der Leitlinie des Kulturministers Satire "Denkanstöße zur weiteren Vervollkommnung des Menschen" geben soll und wo die Partei und ihre Repräsentanten
schon vollkommen sind, bleibt den Kabaretts kaum mehr als die Alternative zwischen lustigem Schabernack und fadem Agitprop.
"Von heiter über ulkig bis urkomisch", kugelte sich der Rezensent der (Ost-)"Berliner Zeitung" über das "Distel"-Programm vom vergangenen Jahr - das
Paradekabarett der DDR, das "ein frohes Lachen" will, erhielt zu Recht den "Vaterländischen Verdienstorden in Silber".
Wie nett und unverbindlich Sticheleien vorgebracht werden, demonstrierte mustergültig "Das Fettnäppchen" aus Gera, als es über altgediente SED-Bürokraten herzog.
Goethe und Schiller unterhalte" sich auf ihren Denkmalssockeln.
Schiller: Alles drängt nach Berlin.
Goethe: Nur uns Denkmäler lassen sie stehen.
Schiller: Ein Denkmal kann sich nicht wehren.
Goethe: Und das nennen sie dann auch noch Denkmalsschutz. Wenn erst mal einer wo steht, dann steht er, solange er lebt."
Schiller: Na ja, eigentlich leben Denkmäler ja gar nicht" mehr.
Goethe: Doch. In der DDR leben noch manche. Oder sagen wir: Man macht schon zu Lebzeiten Denkmäler aus ihnen. Aber erstens stehen diese Denkmäler meist nicht,
sondern sie sitzen. Und zweitens nicht auf Sockeln, sondern auf Planstellen. Aber sonst ist alles wie bei uns. Sie sind fest " und unerschütterlich im Wege ... äh ... zum Sozialismus.
Schiller: Ich denke, im Sozialismus geht es nach Leistung.
Goethe: Natürlich. Mancher, der mal was geleistet hat, kann sich bis in alle Ewigkeit die Planstelle leisten, auf der er mal was geleistet hat.
Schiller: Und wenn er jetzt nichts mehr leistet?
Goethe: Dann muß er - wie wir - bleiben, wo er ist, und stillhalten. Wer nichts tut, begeht keine Fehler. Wer keine Fehler begeht, fällt nicht auf. Wer nicht
auffällt dem passiert nichts.
Da fühlt sich von den Parteifunktionären keiner getroffen - gemeint sind ja die anderen. Heikel wird es für die Ost-Satiriker, wenn sie Namen nennen, wenn die
Leipziger "Pfeffermühle", das bislang frechste DDR-Kabarett, sich über den Kaviarfreund Sindermann mokiert oder bekrittelt, daß Parteichef Honecker seine spontanen Besuche bei Werktätigen vom
Stasi vorbereiten läßt.
Schon in den 50er Jahren hatte die SED die Leipziger Kabarettisten gemaßregelt, der "Pfeffermühle"-Direktor Conrad Reinhold setzte sich 1957 in die
Bundesrepublik ab. Der Direktor Edgar Külow, der zugleich auch Regisseur, Schauspieler und Texter war, wurde 1964 nach zweijähriger Tätigkeit amtsenthoben. "Ein prächtiges Kollektiv", lobten
damals die "Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten", das "manchmal allerdings doch noch vom falschen Standpunkt aus" die Schwächen der DDR betrachte.
Diesen Standpunkt behielt das Kabarett auch unter Külow-Nachfolger Horst Günther bei, der, gedeckt vom SED-Bezirksleiter, nun auch Parteiobere namentlich anging.
Und sein Dramaturg und Texter Rainer Otto monierte, das DDR-Kabarett nehme "immer noch zu stark nur Anstoß an äußeren Erscheinungen" - "zu oft fehlen Ursachen und Auswirkungen der dargestellten
Erscheinungen".
Wenn hingegen die "Pfeffermühle" sich beispielsweise über den jämmerlichen Zustand der Straßen ausließ, genügten zwei Sätze: "Sie wissen ja, warum wir so viele
Schlaglöcher haben. Weil wir die nicht exportieren können."
Beraten durch ein Unternehmen -den VEB Industrie-Montagen Leipzig -, spottete die "Pfeffermühle" mehr als andere Bühnen über die wirtschaftliche Misere und ihre
Ursachen, beschrieb sarkastischer als andere den DDR-Alltag - bis es Ost-Berlin zuviel wurde.
Im Frühjahr wird nun das unbotmäßige Kabarett unter neuer Leitung wiedereröffnet: Nachfolger des geschaßten Günther ist Hans-Dieter Schmidt, der sich bislang als
Chef des Kinder- und Jugendtheaters Halle keinen Namen gemacht hat. Der neue "Pfeffermühle"-Direktor kann seinen Job lange behalten - wenn er den Tip seines altgedienten "Distel"-Kollegen
befolgt.
Der Ost-Berliner Chefkabarettist Otto Stark: "Da auch wir aus Erfahrung klug werden, haben wir im Zuge der Verbesserung unserer eigenen Arbeitsbedingungen den
Holzhammer, den wir zuweilen schwingen, mit einem Schaumgummipolster versehen. Nun sind unsere eigenen Daumen weniger blau."